Für die "3A-Strategie" müssen beide Seiten teuer bezahlen

Sonntag auf einer Motorradtour sprach mich ein Bikerkollege verschämt während einer Pause an, als wir gerade auf dem Weg zu einem Cafe waren, um die letzten Sonnenstrahlen bei einem Latte Macchiato im Biergarten noch einzufangen.  

"Sag mal, was kann man da eigentlich machen. In unserer Firma gibt es einen Abteilungsleiter, der sitzt schon morgens in seinem Büro und stinkt nach Alkohol. Alle wissen es und keiner sagt oder macht was."

Die 3A-Strategie und die Angst

Ich nenne dieses Phänomen immer die "3A-Strategie".

 

"Ich seh nichts.

  Ich hör´nichts.

  Ich sag nichts.

 

...und bitte laß es jemand anderen entdecken!"

 

Und frage dann immer, was würdest Du machen, wenn Du während der Fahrt über eine Brücke mitbekommt, dass sich da jemand von der Brücke stürzen will. Die meisten antworten: "Ich würde ihn ansprechen und versuchen ihn davon abzuhalten!"

"Genau", sage ich dann "und  mit der Sucht ist es nichts anders!" Doch im Umgang mit dem Süchtigen, der auch dabei ist, sich langsam Stück für Stück selbst umzubringen, reagieren Menschen mehr nach der "3A-Strategie" und schauen weg.                                             

Unwissenheit und Angst

Das Motiv ist Unwissenheit. Und Angst!

  • Angst vor einer Abfuhr. "Kümmere Dich um Deinen eigenen Scheiß!"
  • Angst vor einem Konflikt. "Spinnst Du! Ich Alkoholprobleme? Du hast sie doch nicht mehr alle!"
  • Angst von den Kollegen schräg angesehen zu werden. "Ich will doch niemandem etwas zu leide tun!"    
  • Angst vor Beziehungsstress. "Ich versteh mich mit dem Kollegen gut. Er ist nett und ich will ihn nicht in die Pfanne hau´n".
  • Angst vor Mehrbelastung, wenn der Kollege ausfällt.    

Gefangen in der Sucht

Alles nachvollziehbare Gründe und doch ist der Süchtige gefangen in seiner Sucht. Seine Sicht der Welt hat sich durch das Suchtmittel verändert. Er glaubt sich selbst seine Erklärungssysteme und seiner Vorstellung, dass niemand seine Sucht bemerkt.  Dabei hat er schon längst die Kontrolle über sein Suchtverhalten verloren und setzt alles dran, sich und seiner Umwelt zu beweisen, dass er nach wie vor alles im Griff hat..

Der Spielsüchtige, der z.B. auf der Arbeit immer gereizter reagiert, weil er nur noch zu "seinem Spiel" will. Der sich den Automaten reservieren lässt, damit niemand seinen Gewinn abzockt, weil "sein" Automat jetzt "reif" ist und er kurz zur Bank muss, um neues Geld zu holen. "Heute ist der Tag. Heute der Tag, an dem ich ihn knacke. Ich habe das System durchschaut."

 

Der Alkoholabhängige, der nicht mehr der Mensch ist, der er vor seiner Sucht war. Unzuverlässigkeit, Vernachlässigung seines Äußeren, Stimmungsschwankungen, Kontroll- und Interessensverlust können mögliche Veränderung bedingt durch die Sucht sein.

Chance, aus dem tödlichen Kreislauf auszusteigen

Der Abhängige ist nur äußerst selten selbst in der Lage, den ersten Schritt in Richtung Abstinenz zu gehen. Er benötigt "Stopschilder" von außen, die ihn stutzig werden und erkennen lassen, das er etwas verändern, etwas tun muss.

Bildlich gesprochen können wir das mit einem Krug vergleichen in dem regelmäßig "Rückmeldungen bezüglich Auffälligkeiten" gefüllt werden. Es ist äußerlich nicht erkennbar, wie viele Rückmeldungen durch Kollegen, Vorgesetzte, Betriebsarzt, Ehefrau, Kinder, Eltern, Polizei usw. schon geflossen sind und wie voll der Krug ist. Doch jede Rückmeldung erhöht die Chance auf die Entwicklung einer Veränderungsmotivation und aus dem tödlichen Kreislauf der Sucht auszusteigen.

5% der Mitarbeitenden im Unternehmen suchtkrank

So geht die Deutsche Hauptstelle für  Suchtfragen e.V. (DHS) davon aus, dass 5% der Mitarbeiter im Unternehmen alkoholabhängig sind. 5% fügen sich mit ihren Konsum selbst einen Schaden zu und 16% konsumieren gesundheitlich riskant. Wie ich finde recht eindeutige und auch erschreckende Zahlen.

Spannend ist, dass die Unternehmen selbst eher die Idee haben, dass das Thema Sucht keine Bedeutung in ihrem Betrieb hat. Wie erklärt sich dieser Unterschied? Die 3A-Strategie macht es möglich. Ein subjektiver Problemdruck bei Unternehmen und Führungskräften fehlt in der Regel, weil Auffälligkeiten nicht richtig gesehen bzw. bagatellisiert werden und ganz schlicht und einfach weggeschaut wird. Und wenn dann doch z.B. wegen alkoholbedingtem Betriebsunfall nicht mehr weggeschaut werden kann, wird unter akutem Problemdruck "mit der heißen Nadel gestrickt" bzw. reagiert und nicht präventiv strategisch.

Betriebsgeheimnis Sucht

Das Thema Sucht ist trotz aller Aufklärung ein Tabuthema und trotzdem ist sie da, wie weitere statistische Zahlen z.B. der  Techniker Krankenkasse (TK) belegen:

1,8 Millionen Fehltage wegen Alkoholabhängigkeit oder Entzugssyndromen mit einer durchschnittlichen Krankschreibung von 49,7 Tagen. Sucht kostest also nicht nur dem Betroffenen sondern auch dem Unternehmen.

Genau und mit der Sucht ist es nichts anderes

Fragst Du Dich jetzt: "Okay, was kann ich tun, wenn ich nicht mehr die 3A-Strategie anwenden will, sondern wirklich den Menschen unterstützen möchte, seine Sucht zu erkennen und sich aus ihr zu befreien."

 

Das ist relativ simpel:

  1. Glaube Deinen Eindrücken und Deinem Gefühl, das Dir sagt, dass etwas nicht stimmt.
  2. Geh in die Klärung.
  3. Sorge für eine ruhige und angenehme Gesprächssituation (auf keinen Fall ein Tür-und-Angel-Gespräch).
  4. Sage dem Betroffenen, warum es Dir wichtig ist, das Thema anzusprechen, und warum Du Dir Sorgen machst.
  5. Benenne konkrete Situationen.
  6. Verabschiede Dich von der Idee, dass er Dir im Gespräch freudestrahlend um den Hals fällt, weil Du ihn auf seine Sucht ansprichst. Wahrscheinlich wird er das Thema abwehren, "Rauchbomben werfen", um sich im Nebel dann aus dem Staub machen zu können. Sein Verhalten zeigt lediglich, wo er gerade steht in Bezug auf seine Veränderungsmotivation. Kein Betroffener entwickelt im ersten Gespräch  sofort eine Problemeinsicht. Denk an den Wasserkrug und an Deine positive Absicht.
  7. Wenn er sich offen zeigt, gib ihm konkrete Angebote, wo er sich professionell begleiten lassen kann.  
  8. Achte vor allen Dingen auch auf Dich selbst. Die Verantwortung für die weitere Entwicklung liegt beim Betroffenen. Denke daran, dass Du kein Therapeut ist.

 

Es scheint immer unmöglich, bis es getan wird.

Nelson Mandela

 

Wer ich bin?

Ich bin Cornelia Ahlers. Seit über 30 Jahren bin ich Profi im Bereich psychosoziale Gesundheit. Als erfahrene Therapeutin, Gesundheitscoach und Trainerin mit ca. 5000 Kursen/Seminaren und 8000+ Coaching-/Therapiestunden unterstütze ich engagierte Privatpersonen und Unternehmen zum Thema „agieren statt reagieren - gesund sein und gesund bleiben“. Ich helfe Menschen, ihre innere Kraft zu stärken, um aus schwierigen Zeiten gestärkt hervor zu gehen. Meine Seminare und Beratungen basieren auf erfolgreichen und praxiserprobten Konzepten und spiegeln meine Vielseitigkeit sowie mein fundiertes Wissen wieder. Ich runde meine Arbeit gerne mit einer guten Portion Humor und Herzlichkeit ab.

Ich lebe im Grünen, „mitten auf nem Acker“  im schönen Niedersachsen zwischen Osnabrück und Oldenburg. Und wenn ich nicht gerade im Seminar bin,  lasse ich es mir in der Natur, am Meer oder auf meiner silbernen Kawasaki Mean Streak gut gehen J

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Kommentare: 2
  • #1

    Klaus (Sonntag, 30 Oktober 2016 19:53)

    Hallo Cornelia,
    vielen Dank für Deinen Blogbeitrag. So habe ich die Sache noch nicht gesehen. Ich hatte immer nur keine Lust auf das "ganze Theater". Das sehe ich jetzt jedoch deutlich anders.

    Danke und herzliche Grüße

    Klaus

  • #2

    Cornelia (Freitag, 03 Februar 2017 13:26)

    Hallo Klaus,
    ja, das kann ich mir gut vorstellen. Einfach ist das Ganze nicht und es kann schon ganz schön anstrengend werden, wenn der Süchtige, der gefangen ist in seiner Sucht, versucht einen mit in diese einzubinden. Da stellt die 3A-Strategie schon eine Versuchung dar. Aber aus meiner Sicht ist es auch ein Akt der Menschlichkeit nicht wegzuschauen.

    Lieben Gruß
    Cornelia